Tag 1 – Eine „Städterin“ kommt an

Hallo, ich heiße Josefine. Gemeinsam mit meinem kleinen Hund mache ich gerade ein Praktikum auf dem Scheuerhof. Eigentlich bin ich mehr oder weniger durch Zufall auf diese Idee gekommen. Ich wollte mal was Anderes. Was ganz Anderes als meine Alltagswelt. Reinschnuppern in eine andere „Welt“ sozusagen. Und ich habe gedacht ich nehme euch mit auf diese kleine Reise in diese „andere Welt“.

Naja, eigentlich ist es ja dieselbe Welt. Aber es ist eine andere Art diese Welt zu betrachten, mit ihr zu leben, sie zu erleben.

Vielleicht erzähle ich euch ganz kurz, wer ich bin und wie mein Alltag „normalerweise“ so aussieht. Ich bin fast 50. Genauer gesagt werde ich im Dezember 50. Und jedes Mal, wenn ich das erzähle zucken die Menschen kurz zusammen, schauen mitleidig, ganz so als wäre das ein Drama und ich müsste jetzt gebeugt von Angst vor Falten und grauen Haaren mein Schicksal ertragen mit einer 5 in meinem Leben zu leben. Nun, ganz ehrlich: Das geht mir aber echt am Arsch vorbei. Es gibt wahrlich vieles, was heutzutage Dramapotential hat. Da brauch ich ja nur mal nach England oder über den großen Teich zu schauen…mein Alter ist es aber ganz gewiss nicht. Ganz im Gegenteil. Okay, ich schweife ab. Also. Ich bin fast 50, unverheiratet, lebe mit meinem Hund alleine und arbeite für ein großes Unternehmen. Mein Alltag ist geprägt von allen Arten von Druck. Zeitdruck, Leistungsdruck, Optimierungsdruck, und wenn ich ehrlich mit mir bin: den meisten Druck mach ich mir selbst…However, ich arbeite überwiegend in Homeoffice. Meine Verbindung zur Außenwelt findet also primär virtuell statt. Telefon, Mails und WebEx prägen meinen Alltag. Alles nahezu perfekt „durchgetimed“ und maximal effizient. Manchmal weiß ich kaum, was für ein Wetter wir haben. Denn beim Hundespaziergang bin ich eigentlich im Kopf unterwegs und durchdenke die nächste Präsentation….

….und da bin ich also nun, in diesem bunten, kleinen Ökosystem Scheuerhof. Eigentlich bin ich gekommen um mit meiner Hündin zu arbeiten. Sie mag nämlich keine Hunde. Dachte ich zumindest. Mit den beiden Hofhunden Eddie und Ella versteht sie sich allerdings recht gut. Nur nebenbei hatte ich mitbekommen, dass der Hof „ganzheitliches Management“ betreibt. Permakultur. Und ich hatte keine Ahnung was das sein soll. Zugegebenermaßen dachte ich zuerst an radikale Technologieverweigerer, die im Kerzenschein Strümpfe stricken und maximal vegan leben…bin (leider) ziemlich gut im Schubladendenken…aber dann…hab ich die Schubladen meiner Vorurteilskommode mal zu gemacht und den Verstand nebst Herz eingeschaltet….dieses „ganzheitliche Management“ ist eine ungeheuer clevere Sache. Sie beruht auf der Idee, dass alles in dieser ursprünglichen Schöpfung seinen Platz und seinen Sinn hat. Jedes noch so klitzekleine Etwas hat eine – oder sogar meist mehrere – Aufgaben. Und nur alle zusammen bringen ein funktionierendes System zustande. Unbegreiflich komplex, unbegreiflich effektiv und unbegreiflich anpassungsfähig (oder neudeutsch: agil, das Schlagwort der modernen Unternehmenswelt) Die größte Herausforderung hat in dem ganzen System der Mensch. Denn er muss seinen Ehrgeiz zähmen beweisen zu wollen, dass er der unantastbare, die Grenzen bis ins Unendliche ausweitende “Chef“ im Ring ist. Er muss begreifen, dass wenn er an einem kleinen Teil dieses großen Ganzen etwas verändert, dass unendlich viele kleine andere Rädchen und Abläufe des ganzen Systems mit verändert werden…das heißt nicht, dass der Mensch gar nichts mehr verändern soll. Nein. Ganz im Gegenteil. Der Mensch hat seinen Verstand ja nicht umsonst. Aber die Zielfunktion mit der er handelt, die sollte überdacht werden….

Hier auf dem Scheuerhof kann man sehen, wie alles zusammenpasst, sich fügt wie einzelne Puzzleteile zu einem großen Ganzen. Nehmen wir die Rinder. Sie haben hier gleich mehrere Jobs. Und alle davon machen sie von Natur aus gerne. Alleine durch das gemächliche Abgrasen betreiben sie Wiesenpflege und gleichzeitig lockern sie damit den Boden auf. In einem lockeren Boden wiederrum fühlen sich all die winzigen Bodenwesen pudel- wohl und so wächst der Artenreichtum. Der wiederrum sorgt für ganz viel Nährstoffe und ersetzt den Dünger…..wenn das nicht mindestens eine Win-Win Situation ist….

 

Tag 2 – Besuch im Kindergarten und der Garten für Faule

Am zweiten Tag besuchen wir einen Kindergarten ganz in der Nähe. Die Kinder hier wachsen mit Tieren auf. So bevölkern – neben einigen Gartenzwergen – auch zum Beispiel Ziegen den großen Garten. Statt Chinesisch lernen die Kinder hier auf Bäume zu klettern, achtsam mit Hunden zu spielen und oder auch mal sich ordentlich dreckig zu machen.

Viviane stellt das Konzept des ganzheitlichen Managements vor. Denn es ist kein Konzept, dass alleine den Landwirten vorbehalten ist. Jeder kann es praktizieren. So ganz klar ist mir noch nicht, was sie damit meint als ich mich zwischen die vielen Mitarbeiterinnen der Kita auf einen kleinen Kinderstuhl platziere. Nach dem Vortrag soll die Gruppe praktisch umsetzbare Ideen für den Kindergartenalltag entwickeln. Ich bin gespannt. Und kaum ist die letzte Präsentationsseite gezeigt purzeln auch schon die Ideen. Es geht um Änderungen im Einkauf und in der Küche bis hin zum Anlegen von eigenen Gemüsebeeten, die dann mit den Kindern gemeinsam bewirtschaftet werden. Einem „Garten für Faule“, wie Viviane es nennt. Man legt ihn an, berücksichtigt dabei ein paar einfache Regeln und den Rest erledigt die Natur ganz von selbst. Nur noch beim Ernten ist der Mensch wieder beteiligt.

Das finde ich eine super Idee, aber was machen, wenn man – wie ich – gar keinen Garten hat? Kein Problem. Auch in einem „Inhouse Garten“ macht die Natur ihren Job, wenn man sie lässt. Was brauche ich dazu?

Ein breitflächiges Gefäß oder zum Beispiel ein Tablett, das als Unterlage dienen kann. Darauf eine dünne Schicht Blähton, der die überschüssige Flüssigkeit bindet und dann einfache Blumenerde und eine Handvoll guten Kompost (von einem Gärtner oder aus dem Handel) darüber verteilen. Damit ist das Fundament gelegt und ein artenreicher Boden kann entstehen. Jetzt fehlt nur noch das Saatgut, z.B. Microgrün Sprossenkeimlinge für die ganz Ungeduldigen, wie mich.  Als letztes sorgt man noch mit einer Blumenlampe für ausreichend Licht und alles Andere übernimmt die Natur. Das werde ich gleich zuhause mal ausprobieren.

Der 2. Tag ist rum. Und jetzt habe ich eine Frage an Euch. Ich habe noch einige Ideen, was ich hier so machen und lernen möchte. Aber ich würde auch gerne von Euch wissen, ob es etwas gibt, was ihr gerne wissen möchtet oder was euch brennend interessiert. Ich hatte zum Beispiel vor mal einen Tag mit Karl zu verbringen, dem Chefbauern des Hofes. Früher hat er Milchvieh gehabt und durch den Umstieg auf das ganzheitliche System hat sich sein Arbeitsalltag sehr verändert. Mich interessiert zum Beispiel, wie so ein Alltag aussieht, wie es im geht mit dieser Veränderung, was seine Bedenken waren und wie er das Ganze jetzt findet. Spannend finde ich auch den Mikrokosmos Boden – dem Verdauungssystem unseres Planeten, wie Viviane ihn beschreibt, von dem ich – ehrlich gestanden – überhaupt nichts weiß. Ihr auch? Oder andere Ideen? Würde mich freuen von Euch zu hören, bin noch 1,5 Wochen hier……Eure Josefine